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Politik » Ausland » Erdogan dankt Deutschland nach erfolgreichem Referendum und entschuldigt sich für Nazi-Vorwürfe
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Erdogan dankt Deutschland nach erfolgreichem Referendum und entschuldigt sich für Nazi-Vorwürfe

16. April 2017 von Marie-Anne Lenormand
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Die Türken haben abgestimmt und nun ist klar: Die Türkei führt das umstrittene Präsidialsystem ein, nachdem 51,3% mit "Ja" und 48,7% mit "Nein" votiert haben. Der 16. April 2017 geht damit in die Geschichte der Türkei ein.

Erdogan hat den für sich freudigen Ausgang zum Anlass genommen eine TV-Ansprache zu halten, in der er sich erstaunlich offen und ehrlich an seine Bevölkerung, aber auch an die restliche Welt, richtete.

Eine Mitschrift seiner Rede möchten wir ihnen hiermit zur Verfügung stellen:

"Liebe Parteifreunde, liebe türkische Staatsbürger, verehrte Opposition, liebe Terroristen...Verzeihung... Journalisten. Ich freue mich sehr, dass gestern für die Verfassungsänderung gestimmt wurde. Das macht mich stolz und signalisiert mir, dass ich auf dem rechten Weg bin.

Ich dachte erst mein Verhalten im Wahlkampf wäre evtl. zu durchschaubar gewesen. Man hätte ja meinen können unser Wahlkampf hat nur außerhalb der Türkei stattgefunden. Und das obwohl die lediglich 3 Millionen wahlberechtigten Exiltürken natürlich nie in der Lage gewesen wären meinen hoffnungslosen Rückstand lt. Umfragen Anfang des Jahres wett zu machen. Aber ich dachte, ich mache einfach das, was ich am besten kann: Provozieren! Und mein Freund Putin sagte mir: "Provozier das Ausland!!! Deine innenpolitische Stellung wird davon profitieren. Am Ende wirst du das Referendum gewinnen! Du wirst schon sehen."

Da mir nicht mehr viel Zeit blieb, ging ich direkt in die Vollen und beschimpfte also fortan ausländische Regierungen als Nazi-Regime, warf ihnen Nazi-Praktiken vor und schon war ich damit in ganz Europa auf Titelseite 1, aber natürlich auch innerhalb der Türkei. Die meisten der 55 Millionen Wahlberechtigten innerhalb der Türkei hassen es, wenn ihr Präsident devot und unemotional auftritt bzw. ausländische Regierungen den Türken Vorschriften machen wollen. Natürlich ging es nie um die Türken in Europa. Die sind mir ziemlich pups. Es ging immer um die Türken in der Türkei, welche mich seitdem feierten und meine Umfragewerte klettern ließen.

Die deutschen Wahlkampfveranstaltungen als Familienfeste zu deklarieren war ebenfalls einer meiner großartigen Schachzüge. Wir haben so böse gelacht, nachdem auch das alles wie geschmiert funktionierte und deutsche Politiker und Medien angebissen haben. Natürlich hätten wir die Veranstaltungen ordentlich anmelden können und wären damit durchgekommen, doch das hätte mir nicht genützt. Durch die folgerichtigen Absagen der ausländischen Regierungen und Organisationen konnte ich weiter Stimmung gegen Europa machen und die Situation weiter anheizen. Nazi, Nazi, Nazi... Das kann wirklich jeder Dreijährige.

Als dann noch Binali Yıldırım mit dem Vorschlag kam, holländische Kühe auszuweisen, lagen wir alle unterm Tisch. Ich sagte: Verdammte Kacke noch mal, lass uns das machen. Wir drückten also dem Chef des Züchterverbands 1.000 Lira in die Hand und sagten ihm, er solle 40 Kühe des Landes verweisen und eine Presseerklärung versenden. Und zwar Dalli! Dann haben wir auf die ersten Kommentare bei Facebook gewartet. Wir haben gehofft Holland würde uns vielleicht im Gegenzug den Gouda und die Tomaten verwehren. Eine Woche später kam dann der Exportstopp für Tomaten aus Holland. Unser Plan ging auf. Alle Betreiber von Dönerbuden sowie deren Millionen Kunden waren stinksauer auf Holland und solidarisierten sich mit mir und der geplanten Verfassungsänderung. Das Timing war perfekt. Ich konnte mir so weitere 3% Wählerstimmen sichern.

Die Krönung meiner Kampagne war dann selbstverständlich das Einreiseverbot nach Deutschland für mich selbst und meine komplette Ministerriege. Das war Anfang April. Nach Schätzungen meiner Analysten dürfte ich hierdurch ca. 5% aufgeholt haben, nachdem ich Deutschland neben Nazi-Methoden auch noch IS-Terrorstrategien vorwarf. Da war ich dann mit meinem Latein auch am Ende. Nazi und IS Vorwürfe sind doch nicht mehr zu topen, oder?

Die über 40.000 Terroristen, welche ich nach dem Putschversuch habe inhaftieren lassen, durften natürlich auch nicht abstimmen. Die hätten ja gegen mich gestimmt. Beim nächsten Mal würde ich allerdings noch weit mehr Oppositionelle einsperren. Schließlich wurde es am Ende noch eine ganz schön enge Kiste.

Laut türkischem Gesetz im Ausland keinen Wahlkampf machen zu dürfen und gleichzeitig anderen Regierungen Vorwürfe machen, weil sie unseren Ministern ganz legal den Auftritt absagen, war unglaublich geschickt. Ich habe damit meinen Landsleuten bewiesen das ich Eier habe, und nur darum ging es.

Rückblickend möchte ich mich bei Deutschland - aber auch speziell Holland - entschuldigen. Keine meiner Äußerungen war ernst gemeint oder gar gerechtfertigt. Es war eben Wahlkampf. Im Grunde habt ihr eigentlich auch nichts falsch gemacht, aber eben auch nicht viel richtig. Daher möchte ich mich von ganzem Herzen bei euch bedanken, da ihr mein perfides Spiel mitgespielt habt. Ohne euch hätten gestern vermutlich 60 Prozent gegen mich gestimmt. Das ich nun zum Diktator aufgestiegen bin, habe ich also vor allem euch zu verdanken und eurer freien Presse! 2.391 negative Artikel in den deutschen "Leitmedien" (am besten Tag!) hatte ich schon lange nicht mehr. VIELEN DANK EUROPA! Ich liebe eure Demokratien und Diskussionskulturen!

Jetzt, wo ich allmächtig bin, kann ich den Trick ja verraten. Wir sehen uns also bei der nächsten Wahl.... JOOOKE! Wo wir hingehen, brauchen wir keine Wahlen.