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Wieso, weshalb, warum – wer am Tablet wischt bleibt dumm!?

20. April 2022 von Verena Knoblauch
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Am 19.04. erschien in der ZEIT ein Artikel der Lehrerin Isabell Rhein mit dem Titel „Tablets bitte erst ab Klasse 7“. Isabell Rhein schreibt unter Pseudonym, sie ist Ende 40 und Lehrerin an einem Gymnasium und bedient in ihrem Text quasi jedes Vorurteil, Klischee und Schwarz-Weiß Denken, das mir in den letzten Jahren im beruflichen Umfeld begegnet ist. Warum ist das so? Ich bin Grundschullehrerin und medienpädagogische Beraterin für Grund- und Mittelschulen und nutze seit vielen Jahren Tablets im Unterricht.

Kinder sollen lesen, schreiben, rechnen und denken lernen und nicht über ein Tablet wischen“, bekomme ich oft zu hören.

Müssen wir uns entscheiden, ob wir analog oder digital arbeiten wollen? Müssen wir uns entscheiden, ob Kinder auf Bäume klettern oder vor dem Tablet sitzen sollen?

Ich sage: Nein, das müssen wir nicht. Unterricht ist nicht entweder analog ODER digital. So wie das Leben auch nicht analog ODER digital ist. Ein solches Schwarz-Weiß-Denken hilft nicht weiter. Selten ist etwas nur gut oder schlecht. Aber Schwarz-Weiß-Denken ist einfach, alles hat seine Ordnung und seinen Platz. Schwarz gegen weiß, wischen gegen denken, jung gegen alt, analog gegen digital, Pädagogik gegen Technik. Die Liste ließe sich weiterführen. Und so startet der Artikel auch gleich mit so einem Gegensatzpaar: Der ambitionierte junge Kollege und Digitalisierungsfan (männlich natürlich!) vs die erfahrene, digitalkritische ältere Kollegin (weiblich, was sonst?).

Ich gebe Frau Rhein durchaus recht: Die technischen Voraussetzungen müssen an einer Schule gegeben sein, um digitale Endgeräte sinnvoll nutzen zu können. Und eine Schule braucht ein Konzept, eine Vision davon, wie Schule, Unterricht und Lernen in einer Kultur der Digitalität gestaltet werden sollte. Unser Ziel muss es sein, den jungen Menschen die Kompetenzen mitzugeben, am gesellschaftlichen Leben mitbestimmend teilhaben zu können und ein mündiges und souveränes Leben zu führen.

Die Anti-Beispiele, die Frau Rhein anschließend aufführt (statt mit Wasserfarben selber einen Farbkreis zu malen einen Erklärfilm ansehen oder statt selber Pflanzen für ein Herbarium zu sammeln ein Foto eines Herbariums suchen), sind keine Argumente gegen die Nutzung digitaler Endgeräte. Sie sind vor allem Beweis dafür, dass sich hier jemand noch nie näher mit den Möglichkeiten, den Chancen und dem Potential von digitalem Lernen auseinandergesetzt hat.

Digitale Möglichkeiten im Unterricht zu nutzen bedeutet sicherlich nicht, bewegungslos „im PC-Raum“ zu sitzen. Es bedeutet auch nicht, alles was bisher analog gemacht wurde, nun mit allen Mitteln 1:1 ins Digitale zu übertragen. Natürlich sollen die Kinder weiterhin Pflanzen sammeln, mit Wasserfarben malen und im naturwissenschaftlichen Unterricht Experimente planen und durchführen. Sie können mit Hilfe eines Tablets aber zum Beispiel ihre Versuche filmen, Beobachtungen und Vermutungen als Sprachaufnahme dokumentieren und in einem digitalen Portfolio sammeln. Sie können im Englischunterricht über das Schuljahr hinweg ihr persönliches Wörterbuch erstellen, mit Fotos und Audioaufnahmen ihrer eigenen Stimme. Sie können ein Gedicht vertonen oder einen Stop Motion Film zu einem Gedicht erstellen (https://t1p.de/zdlqu). Sie können die selbst gezeichneten Märchenfiguren zum Sprechen bringen oder einen Trailer zu ihrem Lieblingsmärchen erstellen und passende Bilder dafür in einer Bilddatenbank suchen (https://t1p.de/27wh9 oder https://t1p.de/1cvd). Sie können Rechercheergebnisse kollaborativ auf einer digitalen Pinnwand sammeln. Sie können mit der Green Screen Technik in andere Länder reisen, um von dort in authentischer Umgebung ihre Ergebnisse einer Internetrecherche vorstellen. Dabei setzen sie sich auch noch mit den Möglichkeiten von Bild- und Videobearbeitung auseinander und entwickeln ein kritisches Bewusstsein dafür, dass man nicht alles glauben darf, was man im Internet so sieht.

Die Nutzung digitaler Möglichkeiten bedeutet also nicht, Analoges abzuschaffen oder zu ersetzen. Es bedeutet, digitale Medien in den Unterricht zu integrieren - da wo es Sinn macht. Es geht also um eine stimmige Mischung aus analog und digital, nicht um ein Entweder-Oder.

Verstehen Sie meine Kritik an Ihrem Artikel nicht falsch, Frau Rhein. Ich finde es sehr wichtig, kritisch zu hinterfragen. Bitte tun Sie das auch weiterhin. Aber tun Sie es ergebnisoffen und aufgeschlossen für neue Möglichkeiten. Geben Sie zum Beispiel dem jungen Kollegen, der neue Ideen ins Kollegium bringen will, eine Chance. Diskutieren Sie MIT ihm und nicht über ihn. Teilen Sie ihm Ihre Bedenken mit, verwerfen und entwickeln Sie gemeinsam Ideen. Nur zusammen können wir es schaffen, sinnvolle Schul- und Unterrichtsentwicklung zu realisieren. 

von Verena Knoblauch (@verenaknoblauch)